Sophia – holpriger Start ins Familienglück

 In der 19. Schwangerschaftswoche erfuhren Judith und Eike, dass ihre Tochter mit einem Herzfehler zur Welt kommen würde. Ein riesiger Schock für das Paar, doch das Wissen um die guten Behandlungsmöglichkeiten machte ihnen Mut. Heute, mit sechs Monaten, ist Sophia ein fröhliches, zufriedenes Baby mit Aussicht auf ein langes Leben.

Der dritte Ultraschalltermin verläuft anders als die vorherigen: „Mir fiel schon auf, dass sich mein Frauenarzt in Lindau ziemlich lange mit Sophias Herz beschäftigte“,  erinnert sich Judith, „dann schickte er mich zur Feindiagnostik“. Auch die Ärztin dort schaut lange und genau hin, schließlich fällt der Satz, der alles verändert: „Ihre Tochter hat einen schweren Herzfehler“. Im ersten Moment kann die werdende Mutter kaum reagieren, denkt nur: Okay, das kriegt man bestimmt in den Griff, dann wird sie wohl Medikamente bekommen. Doch die Ärztin schaut sie an, sieht das Unverständnis und legt nach: „Ihre Tochter hat einen wirklich sehr, sehr schweren Herzfehler, sie hat eine D-TGA und ihr System funktioniert nicht, holen Sie aber bitte noch eine zweite Meinung ein“. Dann wird sie zu einer anderen Patientin in den Kreißsaal gerufen.

Wie in Trance fahren Judith und ihr Mann Eike nach Hause, fragen sich, was die Diagnose bedeutet – für sie, für die kleine Sophia und für das Familienleben, zu dem noch der zweijährige Lukas gehört. „Eigentlich wollten wir nicht googeln“, sagen sie, „aber wir hatten ja überhaupt keine Infos“. Also durchforsten sie das Internet und finden schnell heraus: Wenn Sophia nicht direkt nach der Geburt behandelt und innerhalb von zwei Wochen operiert wird, dann stirbt sie. Beide fühlen sich absolut hilflos. Doch dann lesen sie auch immer wieder, dass die Behandlungschancen relativ gut sind. Besonders ein Artikel zur TGA gibt ihnen Hoffnung, in dessen Überschrift steht „Ein kritischer Herzfehler, der seinen Schrecken verloren hat“.

 

Kinderherzstation Bonn – in guten Händen

Möglichst schnell sollen sich Judith und Eike bei einer Klinik vorstellen. Sie wissen zu dieser Zeit schon, dass sie von Lindau nach Koblenz umziehen werden. So orientieren sie sich nach Bonn, zumal in der Kinderkardiologie der Uniklinik die TGA mit am häufigsten operiert wird. Zeitnah bekommen sie einen Termin, insgesamt dreimal werden Judith und Sophia untersucht. Das kleine Mädchen entwickelt sich gut und das ist wichtig, denn für die anstehende Operation brauchen die Kinder eine gewisse Gewichtsklasse. Die Bonner Spezialisten verbreiten Ruhe und Optimismus, vermitteln immer wieder, dass sie das Herzproblem gut kennen und in den Griff bekommen werden.

Dennoch wird das letzte Drittel der Schwangerschaft für Judith zur Herausforderung: „Ich habe für die Zeit Bettruhe verordnet bekommen, weil Sophia schon sehr tief gelegen hat und auf keinen Fall früher zur Welt kommen sollte“, erzählt sie. Ihre Nervosität steigt von Tag zu Tag, doch die Bonner Ärzte sind nach wie vor entspannt: Sie solle einfach in die Klinik kommen, wenn die Wehen losgehen, es sei ja nur eine Stunde Fahrt. Als eine Woche vor dem errechneten Termin ganz leichte Vorwehen einsetzen, packt Judith ihre Tasche und macht sich mit Eike auf den Weg nach Bonn: „Zum Glück haben sie mich dabehalten. Nicht auszudenken, wenn mein herzkrankes Baby im Stau auf der Autobahn zur Welt gekommen wäre durch meine Schuld!“

Vier Tage später, am 22. April, erblickt Sophia das Licht der Welt. Weil zwischendurch keine Herztöne zu hören sind, darf Judith sich möglichst nicht bewegen. Ansonsten ist es eine ganz normale, natürliche Geburt. Zwei Minuten darf das Mädchen danach auf der Brust ihrer Mutter liegen, dann nimmt das Ärzteteam Sophia mit zur Erstversorgung und legt sie in einen Brutkasten. „Sie war ganz blau“, erinnert sich Judith, „das ist typisch bei der TGA“. Eike darf mitgehen zur Kinderherzintensivstation. Dort bekommt Sophia sofort eine Infusion, damit das winzige Loch in ihrem Herzen, das zumindest ein wenig Sauerstoffaustausch ermöglicht, sich nicht schließt.  Obwohl das Medikament die kleinen Patienten berührungsempfindlich macht, dürfen Judith und Eike ihre Tochter später vorsichtig im Arm halten – nur kurz, aber es bedeutet ihnen unendlich viel.

Jetzt spenden: Herzkindern helfen

Wechselbad der Gefühle

Der nächste Tag hält eine unangenehme Überraschung bereit: Das Rashkind-Manöver, das bei Sophia eigentlich nicht notwendig sein sollte, muss nun doch durchgeführt werden. Durch einen Herzkatheter vergrößern die Ärzte mit einem Ballon eine kleine Lücke im Herzen. Das Schlimme für Judith und Eike: Der Eingriff wird außerhalb der Besuchszeiten vorbereitet, als sie gerade nicht vor Ort sind, und für eine Weile wissen sie nicht Bescheid, was los ist. Doch irgendwann endet die quälende Ungewissheit, Sophia hat die Narkose und das Rashkind-Manöver gut überstanden. Nun muss sie nur noch etwas kräftiger werden für den eigentlichen Eingriff, dafür zieht sie um in die Asklepios Klinik in St. Augustin. Hier gilt sie nicht als Akutfall und liegt in einem normalen Babybett, die Eltern dürfen sie auf den Arm nehmen, füttern und wickeln: „Das haben wir natürlich sehr genossen, uns aber auch schwergetan, weil Sophia an alles Mögliche angeschlossen war.“

Am 1. Mai hat sich Sophia so gut entwickelt, dass es zurück in die Uniklinik Bonn geht, die Switch-Operation steht an. Dabei werden nicht nur die Körper- und die Lungenschlagader durchschnitten und umgesetzt, sondern auch die winzigen Herzkranzarterien. Circa vier Stunden wird der Eingriff dauern, erfahren Judith und Eike im Vorgespräch mit dem Chirurgen. Morgens um 8 Uhr verabschieden sie ihr kleines Mädchen in den Operationssaal, dann schleppt sich jede Minute nur so dahin. Am Nachmittag, ab 14 Uhr, wird die Sorge übergroß. Doch eine Schwester beruhigt sie, alles sei gut, zu der reinen Operationszeit kämen einfach noch ein paar Stunden Vor- und Nachbereitung hinzu. Das Paar versucht sich abzulenken: „Wir haben den ganzen Tag mit den anderen Eltern geredet, deren Kinder auch gerade operiert wurden, das war ein guter, unglaublich wertvoller Austausch“, so Judith, „und wir waren bestimmt tausend mal in der Cafeteria“. Nach zehn Stunden, endlich, wird Sophia aus dem OP gerollt, kurz dürfen ihre Eltern sie sehen auf dem Weg in die intensivmedizinische Betreuung. Es sei alles prima verlaufen, erklärt ihnen der Chirurg, nun seien die nächsten 24 Stunden entscheidend. Immer wieder banges Warten.

Wie lang 24 Stunden doch sein können! Judith und Eike gehen schweren Herzens in ihr Hotel, zweimal rufen sie nachts in der Klinik an. Sophia ist stabil. Als die Station um 9 Uhr wieder öffnet, stehen sie schon vor der Tür, dürfen direkt zu ihrer Tochter. Sie liegt reglos da, an Infusionen und Geräte angeschlossen, doch die Eltern sind auf den Anblick vorbereitet, haben im Vorfeld unzählige Bilder gesehen: „Für uns überwog die Erleichterung, weil wir wussten, der Herzfehler ist jetzt nicht mehr da und alles kann gut werden“. Den ganzen Tag verbringen sie an Sophias Seite, die Intensivschwestern beantworten geduldig jede Frage, informieren über die Werte und was sie bedeuten. Nach zwei Tagen werden die sedierenden Medikamente langsam heruntergefahren und die kleine Patientin fängt an, sich zu bewegen. Ganz allmählich lässt die Anspannung der Eltern nach. Weitere drei Tage, und Sophia wird wieder in die Klinik nach St. Augustin verlegt, soll sich dort weiter von der schweren Operation erholen.

Doch leider muss Sophia dort erneut auf die Intensivstation, denn sie hat einen Infekt (was keine Seltenheit ist) und außerdem Herzrhythmusstörungen, muss medikamentös eingestellt werden. „Das war ein emotionaler Stress, der wirklich nicht auch noch hätte sein müssen“, kommentiert Judith trocken. Als die Medikamente wirken, verbringt Sophia noch eine Woche auf einer Art Zwischenstation, angeschlossen an einen Überwachungsmonitor. Die Mutter darf im selben Zimmer schlafen und die Freude darüber ist groß, doch ebenso die plötzliche Überforderung: „Ich wusste gar nicht mit Sophia umzugehen und hatte ständig Angst, etwas zu übersehen. Wenn sie weint, hat sie dann Hunger oder ist etwas mit dem Herzen?“. Judith braucht eine Pause und für zwei Nächte tauscht das Paar die Rollen: Eike bleibt bei Sophia im Krankenhaus und sie kümmert sich zu Hause um den kleinen Lukas. Langsam lässt die Verunsicherung nach, beide verstehen ihre frisch operierte kleine Tochter immer besser – und Sophia beginnt zu wachsen und zuzunehmen!

Endlich nach Hause!

Knapp sechs Wochen nach ihrer Geburt ist es so weit: Sophia darf zu Eltern und Bruder ins frisch sanierte Haus in Koblenz einziehen – ohne Monitor oder andere Gerätschaften, nur mit zwei Medikamenten, die sie alle acht Stunden bekommt gegen ihre Herzrhythmusstörungen. Die Familie ist endlich komplett! Anfangs ist die Kleine ganze Nächte lang wach, ihr Körper hat sich an die Schlafmittel im Krankenhaus gewöhnt. Abwechselnd liegen die Eltern mit ihr auf der Couch, dann, nach drei anstrengenden Wochen, beginnt sie nachts die Augen zu schließen und regelmäßig zu schlafen.

Auch körperlich entwickelt sie sich prächtig, „sie ist ein richtiger Brummer geworden“, sagt Mutter Judith. Wenn Besuch kommt, führt der zweijährige Lukas ihn stolz an Sophias Bettchen, er hat seine kleine Schwester gut aufgenommen. Das ist nicht selbstverständlich, denn auch er hat eine schwierige Zeit hinter sich: die neue Umgebung, die häufige Abwesenheit seiner Eltern, dafür Videotelefonie und die Betreuung durch eine Tagespflegemutter. „Das war schon hart“, so Judith, „obwohl sich unser ganzes Umfeld bemüht hat, es uns so leicht wie möglich zu machen“. Dafür sind sie und Eike ihren Eltern und Freunden unendlich dankbar.

Auf ins normale Leben

Jetzt geht es Sophia gesundheitlich gut, mit nur kleinen Einschränkungen: Ihre beiden Herzklappen schließen noch nicht perfekt und wo die beiden großen Arterien getauscht und genäht wurden, ist eine kleine Engstelle entstanden. Sollte diese sich weiter verengen, wird sie in fünf bis zehn Jahren geweitet. Da dies keine Operation erfordert, können Judith und Eike damit gut leben. Alle drei Monate bringen sie Sophia nun zur Kontrolluntersuchung bei der Kinderkardiologin. Es ist endlich Normalität eingekehrt. „So schlimm es war, mein Mann und ich sind da wirklich gut durchgekommen“, resümiert Judith, „wir haben einfach immer nur von Tag zu Tag gedacht und versucht, ruhig und positiv zu bleiben“. Dass sie sich in den Kliniken in Bonn und St. Augustin so gut aufgehoben fühlten und immer perfekt betreut und informiert wurden, war dabei Gold wert. „Angstnehmende Unterstützung“ nennen sie das.

Zudem war es Glück im Unglück, dass sich bei „ihrem“ Herzfehler, der D-TGA, die Behandlungsmöglichkeiten über die Jahre rasant weiterentwickelt haben bis hin zur Switch-OP in der jetzigen Form. „Insofern haben wir extrem von der intensiven Forschung in diesem Bereich profitiert – und damit natürlich von den Spenden, die diese Forschung ermöglichen“, sagt Judith. Um sich ein wenig zu revanchieren, wird es noch eine Babyparty für Sophia geben. Alle Geldgeschenke gehen dann an den Verein kinderherzen. Genau wie der Erlös der Spendenfahrt, die der Vater von Judith für den Sommer plant: in drei Monaten mit dem Fahrrad vom Nordkap nach Gibraltar – für die Forschung und damit es für möglichst viele Herzkinder ein Happy End gibt.

Sohpia mit ihrem Opa Rainer

 

 

Sophias Diagnose und aktuelle Situation

Sophia ist mit einer Dextro-Transposition der großen Arterien (D-TGA) zur Welt gekommen. Das bedeutet, dass Körper- und Lungenblutkreislauf nicht in Serie hintereinander geschaltet, sondern komplett voneinander getrennt sind. In der Folge wird der Körper nicht mit Sauerstoff versorgt. Kinder mit einer TGA sind nur lebensfähig, weil das Herz zusätzlich „Kurzschlussverbindungen“ aufweist, über die sich das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge mit dem sauerstoffarmen aus dem Körperkreislauf mischen kann. Diese schließen sich jedoch nach der Geburt innerhalb von Stunden bis Tagen. Deshalb erhielt Sophia sofort Medikamente, die dies bis zur rettenden Operation verhindern. Zudem wurde bei ihr das Rashkind-Manöver angewandt, eine Herzkathetertechnik, die die meist noch bestehende kleine Lücke zwischen den Vorhöfen vergrößert. Am zehnten Tag ihres Lebens war Sophia kräftig genug für die Arterielle Switch-Operation: Ihre falsch angeschlossenen Arterien und Herzkranzgefäße konnten getrennt und anatomisch korrekt wieder angenäht werden.

Die aktuelle Situation: Sophia geht es gut und es stehen akut keine Behandlungen mehr an. Sie bekommt derzeit Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen und eventuell muss zukünftig,  zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr, eine Engstelle in ihrer Lungenarterie geweitet werden.

Sophias Großvater plant einen Spendentour mit dem Fahrrad vom Nordkap bis Gibraltar.