Mia und Patrick freuen sich sehr auf ihr erstes Kind. Sie erwarten eine kleine Tochter im Juni. Es ist bereits alles vorbereitet, was man im Vorfeld als werdende Eltern so planen kann – Anmeldung zum Geburtsvorbereitungskurs, die Geburtsklinik ausgesucht und einen Namen für ihr Baby gewählt. Beide sind aufgeregt, aber es gibt keinen Grund, sich verrückt zu machen. Schließlich sind es noch über 10 Wochen bis zur Geburt – oder?
Mia wacht früh auf. Sie kann nicht mehr schlafen und ist unruhig. Etwas stimmt nicht in ihrem Bauch. Das Baby liegt nicht mehr mittig wie sonst, sondern liegt sehr weit links. Eigentlich wollten die werdenden Eltern zu einem Geburtsvorbereitungskurs am Samstag, doch Mias Bauchgefühl schlägt Alarm. „Ich habe Patrick gesagt, dass ich mich unwohl fühle und lieber zur Kontrolle in die Klinik möchte. Es gab an sich keine äußeren Anzeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung war, außer meinem Gefühl – bis ich auf die Toilette gegangen bin.“ Mia hat frisches Blut am Toilettenpapier. Nun schlagen alle Glocken Alarm.
An der Notaufnahme sind die Mitarbeitenden noch skeptisch. Aber Mia spürt den Ernst der Lage. „Wir sind ja nicht mit Nasenbluten gekommen. Ich wusste, dass unser Baby in Gefahr ist.“ Im Rollstuhl läuft Patrick mit Mia in den Kreißsaal – keinen Augenblick zu spät.
„Bei der Untersuchung floss das Blut schon vom Untersuchungsstuhl. Das Schlimmste war aber, dass der Assistenzarzt ganz ratlos zu mir meinte, es wären keine Herztöne da. Niemand konnte mir sagen, was das jetzt bedeutet“, erinnert sich Mia an diesen angsterfüllten Moment.
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Keine guten Vorzeichen
Patrick muss in der Zeit das Auto umparken. „Ich war noch positiv gestimmt, als ich den Kreißsaal verlassen habe. Man geht ja nicht vom Allerschlimmsten aus. Ich habe direkt vor der Notaufnahme gehalten, um Mia in die Klinik zu bringen. Darum musste ich das Auto wegfahren, falls ein Krankenwagen kommt.“ Keine große Sache, denkt sich Patrick.
Doch als er gut fünf Minuten später wieder an der Tür des Kreißsaals klingelt, öffnet ihm niemand. Ein Blick durch das Bullauge in der Tür lässt seine Knie weich werden. Er sieht das Team der Babystation hektisch in Mias Zimmer laufen. Ein Arzt flitzt an ihm vorbei in den Kreißsaal. „Da wusste ich, dass etwas gar nicht in Ordnung ist.“ Ein Arzt kommt auf ihn zu: Die Plazenta habe sich abgelöst. Ein Notfall, der sofort ärztliche Hilfe erfordert. Dem Baby bleibt nur noch wenig Zeit. Ein Notkaiserschnitt ist die einzige Option.
Keine 45 Minuten nach ihrer Ankunft in der Klinik ist die kleine Hedi auf der Welt.

Hedi, ein kleiner Aprilscherz
„Und da war unser kleiner Aprilscherz“, sagt Mia lächelnd, „zehn Wochen zu früh. Von Anfang an hat uns der Arzt gesagt, dass sie sehr bewegungsfreudig mit einem unfassbar starken Willen ist. Und das hat sich bis heute gehalten!“
Frühchen Hedi ist noch auf eine CPAP-Beatmung (kontinuierlicher Atemwegsüberdruck) angewiesen, weil das Atmen noch sehr viel Kraft kostet und immer wieder abfällt, wenn sie tief schläft. Sie muss in einem Frühchen-Inkubator auf der Intensivstation bleiben. Trotzdem macht die Lunge alles schnell mit. „Die Lunge hat super mitgearbeitet. Sie ist auch heute noch nicht infektanfälliger als andere Kinder. Es grenzt an ein Wunder“, berichtet Mia. Die generelle Vorsorgeuntersuchung von Neugeborenen wird bei Hedi auf den vierten Lebenstag verschoben, um ihr etwas mehr Zeit zu geben, auf der Welt anzukommen.
U1-Untersuchung mit Folgen
Bei der U1‑Untersuchung bemerkt der Arzt auffällige Herzgeräusche. Er zieht einen Kinderkardiologen – der auch Hedis Kinderarzt ist – zu Rate. Beide teilen kurz darauf den Eltern ihren Verdacht mit. Hedi hat einen angeborenen Herzfehler. Sie muss zügig in die Uniklinik in Erlangen verlegt werden. „Wir hatten uns gerade etwas vom Schock der Frühgeburt erholt, als wir von dem Herzfehler erfuhren“, sagt Mia. Sie muss noch in der Klinik bleiben.
Patrick fährt dem Rettungswagen ins rund 100 Kilometer entfernte Erlangen hinterher. Das Thema „angeborener Herzfehler“ ist für ihn nicht neu. Er selbst ist mit einem zur Welt gekommen. „Wir haben uns während der Schwangerschaft natürlich informiert, ob es ein erhöhtes Risiko für unser Baby gibt. Ich gehe selbst jährlich zu den *EMAH-Sprechstunden in Erlangen und habe dort nachgefragt. Aber es gäbe keinen Grund zur Sorge. Das Risiko sei minimal mit meinem Herzfehler, nicht höher als bei herzgesunden Vätern. Deshalb haben wir auch auf eine Feindiagnostik verzichtet. Wir wussten, dass wir Hedi immer willkommen heißen, so wie sie ist“, erzählt Patrick.
(*EMAH: Erwachsene mit angeborenem Herzfehler)
Diagnose bestätigt
Hedi hat einen Truncus arteriosus communis (TAC Typ 1). Ein seltener angeborener Herzfehler, bei dem die beiden großen Arterien, die Aorta und die Pulmonalarterie, nicht getrennt aus den Herzkammern austreten, sondern aus einem gemeinsamen Gefäßstamm. Durch die fehlende Pulmonalklappe gelangt eine Mischung aus sauerstoffreichem und -armem Blut in beide Kreisläufe. Diesen Herzfehler begleitet häufig ein großer Ventrikelseptumsdefekt (VSD), ein Loch in der Scheidewand zwischen den Herzkammern. Das Herzbaby muss unbedingt operiert werden, um groß zu werden.
Herzen heilen in Erlangen
Mia und Patrick sitzen an Hedis Bettchen auf der Neo-Intensivstation in Erlangen. Sie warten auf das „Wolfsrudel“. „So haben wir die Mitarbeitenden der Kardiologie genannt. Sie kamen ein bis zweimal die Woche: Kinderkardiologen und Kinderherzchirurgen, Pflegekräften, Neonatologen, Psychologen und Studierenden. Sie waren mindestens zu siebt im Zimmer, manchmal sogar mit 14 Leuten“, lacht Mia. Doch als sie sich an die erste Zeit nach der Geburt zurückerinnert, muss sie die Tränen herunterschlucken. „Erlangen hat ganz viel heile gemacht. Die Pflegekräfte, alle auf der Neo-Intensiv – sie haben uns und Hedi so toll behandelt. Dort war das alles normal und deswegen konnten wir auch so zuversichtlich sein.“
Es kommen neue Kinder, andere dürfen endlich nach Hause. Das stärkt auch das Vertrauen der jungen Eltern. „Wir wussten, dass das nur eine Zwischenstation ist. Ein kurzer Halt auf einer großen Reise, die uns noch erwartet.“
Zwei Monate liegt Hedi auf der Neo-Intensivstation. Mama Mia wohnt in der Zeit im Ronald McDonald Haus in Erlangen, während Patrick hin und her pendelt. Er steckt parallel mitten in der Abschlussprüfung seiner Ausbildung. Ein echter Kraftakt für die junge Familie.
Eine große Operation für ein kleines Herz
Als der Operationstag anbricht, sind Mia und Patrick schon früh in der Klinik. Um sieben Uhr morgens geben sie ihr Baby an der OP-Schleuse ab. Acht Stunden soll die Operation am stillgelegten Herzen dauern, bei der die Pulmonalarterie von der Aorta abgetrennt wird. Das Loch in der Scheidewand wird mit einem Patch verschlossen. An der rechten Herzkammer ersetzen eine Arterie und eine Herzklappenprothese vom Rind den fehlenden Stamm der Pulmonalarterie. Eine Operation, die es in sich hat.
„Es werden uns viele für verrückt erklären, aber Patrick und ich sind danach zurück ins Ronald McDonald Haus und haben geschlafen. Wir mussten einfach Kraft tanken“, erinnert sich Mia. Als sie beim Mittagessen sitzen, klingelt das Telefon. „Hedis Herzchen schlug wieder ganz wunderbar. Sie war nicht an der *ECMO und lag schon auf der Intensivstation.“
(*ECMO: Extrakorporale Membranoxygenierung, ein maschinelles Verfahren, das bei akutem Herz- oder Lungenversagen temporär die Funktion von Lunge und Herz übernimmt.)
Hedi kämpft jeden Tag
Zwei Wochen liegt Herzbaby Hedi intubiert auf der Intensivstation. Sie ist sediert, um sich von den Strapazen der Operation zu erholen. Langsam klappt das eigenständige Atmen wieder besser. Die ersten vier Tage musste ihr kleiner Thorax offen bleiben, weil sich so viel Wasser in der Lunge gesammelt hat. Der kleine Körper ist geschwollen, schmerzt und kämpft gegen den Entzug von den Schmerzmitteln. „Es war ein ständiges Auf und Ab“, erinnern sich die Eltern. „Wir haben lange um sie gebangt, aber irgendwann hat es Klick gemacht und dann ging es recht schnell stetig bergauf.“

Hedi ist stabil und ihre Werte sind in Ordnung. „Es hieß, sie müsse nur noch trinken lernen und dann dürfen wir nach Hause“, sagt Mia. Einfacher gesagt als getan. Hedi hat das Trinken fast komplett eingestellt und wird durch eine Sonde ernährt. Trinkversuche in der Klinik scheitern, aber die jungen Eltern können mittlerweile die Sonde selbständig wechseln. „Darum durften wir dann zur Sondenentwöhnung nach Hause, da waren wir sehr froh drüber“, so Mia.
Endlich daheim
Hedi ist drei Monate alt, als sie das erste Mal nach Hause darf. Endlich kann sich die kleine Familie gemeinsam zu Hause einleben. Hedi erholt sich daheim sehr schnell, nur das Trinken macht Probleme. „Das ganze Thema hat uns sehr unter Druck gesetzt, besonders mich“, erzählt Hedis Mama. „Sie war immer im Grenzbereich mit dem Gewicht und der Trinkmenge. Manchmal war ich echt verzweifelt, wenn sie kaum etwas am Tag getrunken hat.“

Trotzdem nimmt Hedi langsam zu – in ihrem Tempo. Im September zieht sich das Herzkind die Sonde selbst. Patrick berichtet: „Wir haben von Tag zu Tag geschaut, ob die Trinkmenge reicht oder sie wieder eine Ernährungssonde braucht. Oft hörten wir von den Ärzten: ‚Hedi muss zunehmen.‘ Das hat Druck gemacht. Aber die Psychologin der Frühförderstelle meinte zu uns: ‚Hedi geht ihren Weg und sie wird das gut machen.‘ Und so hat sie es gemacht, bis heute.“
Hedi heute
Große Kulleraugen unter einem blonden Lockenschopf gucken neugierig in die Kamera bei unserem Interview. Als das Thema Essen aufkommt, ruft Hedi begeistert: „Butter!“ Da müssen auch die Eltern lachen. „So richtig isst sie erst seit Februar dieses Jahres und Butter ist hoch im Kurs. Doch Essen ist nach wie vor eine heikle Angelegenheit bei uns.“
Hedi geht mittlerweile schon in die Kita. „Sie hat lange gebraucht, um dort anzukommen, aber sie hat sich toll gemacht. Hedi ist so voller Lebensfreude, sie strahlt und steckt andere Menschen mit ihrer Energie an. Das ist so schön zu sehen“, sagt Mia und blickt zu Patrick, „und wir müssen uns eigentlich öfters auf die Schulter klopfen, was wir alles gestemmt haben und auch noch stemmen.“ Oh ja, das könnt ihr wirklich!


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